Klavierhocker

Ein Gastbeitrag von Johannes Scholz

Vor einigen Jahren wurde ich von einem lieben Menschen inspiriert, mich im Klavierspiel zu versuchen. Schon bald reihten sich die ersten Töne zu kurzen erkennbaren Melodien aneinander – ich habe vorher nie ein Instrument gespielt; es fühlte sich gut an und machte Spaß. Etwa zeitgleich zum Klavierspiel hatte ich mit dem Drechseln begonnen und mich mit verschiedenen Werkzeugen wie Meißel und Schalenröhre geübt. Da entstehen hin und wieder einfache Vasen, Schalen, kleine Gefäße und zu dieser Jahreszeit – Ostereier aus Holz. Im Holzhandwerk spielt das Drechseln heute eine untergeordnete Rolle und die Draillen im Treppenhaus werden längst automatisch erzeugt. Eine zwingende Anwendung von gedrechselten Bauteilen gibt es im Möbelbau kaum, es wird eher als optisches Element eingesetzt. Doch es gibt eine kleine begeisterte Gemeinschaft, die sich an den Techniken, an der gestalterischen Freiheit und den sehr schönen hölzernen Objekten erfreuen kann.

Klavier plus Drechseln? Das ist die Idee…

Viele Instrumente werden im Sitzen gespielt, aber nur beim Klavier (so mir bekannt) hat sich ein eigenes Sitzmöbel etabliert, das im allgemeinen Sprachgebrauch einen festen Begriff darstellt. Heute sind Klavierbänke üblich, aber früher stand in den besseren Häuseren ein Klavier mit einem Klavierhocker. Schnell mir kam die Idee beides – das Klavierspiel und das Drechseln – in einem Projekt zu verbinden. Ein Klavierhocker im Gründerzeitstil sollte es werden: klassische runde Sitzfläche und eine zentrale Säule mit einer Gewindespindel zur stufenlosen Höhenverstellung. Stehen wird der Hocker auf drei Beinen. Alle hölzernen Teile werden aus Buchenholz gefertigt – von der gleichen Buche, aus der kürzlich die 7 Grad Bank enstanden ist.

Ideen, Entwürfe, Skizzen, Dimensionierung auf dem Papier

Die ersten Entwürfe zur Dimensionierung erfolgten und halfen meiner Vorstellungskraft auf die Sprünge. Die Herstellung der Einzelteile bringen jeweilige Besonderheiten und Fertigkeiten mit sich, die ich in den folgenden Zeilen beschreibe. Und los geht’s…

Beine

Nach den ersten Skizzen im Maßstab 1:1 wird eine Schablone aus Sperrholz ausgeschnitten und vier (man weiß ja nie) Bein-Rohlinge aus Buchenholz an der Bandsäge ausgesägt. Schon bei der Positionierung der Rohlinge ist auf den richtigen Faserverlauf zu achten, um einen möglichen Bruch des spröden Holzes während der Nutzung zu vermeiden. Mittels Fräser mit Anlaufring wird die endgültige Kontur gefräst. Das Fräsen der geschwungenen Kontur war die erste Herausforderung, da sich das dichte Buchenholz nicht gegen die Faser fräsen lässt – ich habe es probiert, keine gute Idee. So wird die Schablone von beiden Seiten aufgeklebt und die Beine abschnittsweise gefräst. Für die „Schönheit der Arbeit“ (ein geflügelter Begriff in der Werkstatt) werden die äußeren Kanten mit einer Hohlkehle versehen.

Von der Skizze zum ersten Muster

Ist die Kontur fertig, wird an jedes Bein ein Schwalbenschwanz gefräst, mit dem das Bein formschlüssig mit der Säule verbunden wird. So entsteht eine unsichtbare sehr stabile Verbindung ohne zusätzliche Hilfsmittel.

Säule

Im ersten Schritt wird ein Zylinder hergestellt. Dann folgen die strukturellen Arbeiten zur Aufnahme der drei Beine und die Verbindung zur Sitzfläche auf der Oberseite. Die zweite Herausforderung stellt das Fräsen der Schwalbenschwanz-Nuten auf einer zylindrischen Oberfläche zur Aufnahme der drei Beine dar. Dazu wird eine Aufnahmevorrichtung zum Klemmen der Säule verwendet. Zuerst werden drei Absätze entlang der Längsachse im 120° Abstand gefräst, gefolgt von den später verdeckten Nuten. Das Fräsen hat gut funktioniert.

Vom Zylinder zur Säule

Das Profil der Säule muss nur den eigenen ästhetischen Ansprüchen genügen und sollte im tragenden Querschnitt nicht zu dünn werden, ansonsten sind der gestalterischen Freiheit keine Grenzen gesetzt.

Die Spindel wird versenkt

Im oberen Teil der Säule wird eine Buchse aus Bronzeguss bündig versenkt und später verschraubt. Hier läuft die Gewindespindel (Trapezgewinde), die auf der Unterseite der Sitzfläche verschraubt wird. Die Bohrung im Zentrum der Säule geht so tief, dass sich die Spindel vollständig versenken lässt und folglich die tiefste Sitzposition darstellt.

Sitzfläche

Die Sitzfläche selbst besteht aus drei Komponenten: einem äußeren Holzring, einem tragenden Kreuz unter der Sitzfläche und einem Polsterkissen zum bequemen Sitzen. Der Rohling des Rings wird aus vier Segmenten verleimt, zur Stabilität werden Dominos eingefräst. Auch hier wird auf den Faserverlauf geachtet. Um den Rohling zum Drechseln spannen zu können, wird eine Papierverleimung auf einem großen Teller verwendet. Das Drechseln des Rings geht zügig und verlangt keine Besonderheiten. Für den Lederbezug, der später mit Polsternägeln auf den Ring genagelt wird, wird bereits ein Absatz vorgesehen.

Aus vier mal eckig wird rund

Auf der Unterseite des Rings wird das Kreuz eingelassen, das die Verbindung zur Spindel herstellt. Hier wirken beim Sitzen die größten Hebelkräfte, weshalb auf eine stabile Ausführung zu achten ist. Beim Fräsen der Aussparungen ist ein festes Einspannen des Werksstücks von Vorteil, sonst wandert der Ring durch die Vibrationen der Oberfräse aus seiner Position. Der erste Schreck war groß, als die Fehlstelle zum Vorschein kam, doch das Flicken ist nicht sonderlich aufwendig und fällt später nicht auf. Eine schöne Besonderheit im Holzhandwerk, dass Fehler zwar ärgerlich sind, aber die meisten wieder ausgebügelt werden können – im Metallbau oder beim Arbeiten mit Keramik ist das vergleichsweise aufwendig oder unmöglich.

Grober Schnitzer… wieder bereinigt

Oberfläche

Sind alle Holzarbeiten abgeschlossen, erfolgt die Oberflächenbehandlung; wie zur Form des Hockers passend wird eine klassische Schellack-Politur aufgebaut. Zuerst wird das Buchenholz bis zur 320iger Körnung geschliffen und anschließend in einem dunkeln Mahagoni-Farbton gebeizt. Um die Maserung besser zur Geltung zu bringen, wird die Oberfläche einmal geölt.

Buche – fast wie Mahagoni

Dann folgt die zeitlich aufwendige Schellack-Prozedur in sich immer wiederholenden Zyklen. Nach einer Grundierung wird mit einem kleinen Ballen und Schellack „blond“ poliert – heißt eine dünne Schicht Schellack aufgetragen. Dabei wird die oberste Schicht immer wieder leicht angelöst. Mit den Wiederholungen und Trocknungszeiten wird die Oberfläche immer glatter und glänzender (Rainer hat davon schon ausführlicher berichtet). Beim Polieren kommt es auf die richtige Feuchtigkeit des Ballens an, immer in Bewegung, nicht zu viel, nicht zu wenig – das geht nur über das Gespür und Gefühl und Übung. Kreisende Polierbewegungen, schleifen, Poren füllen, trocknen lassen usw. – an der Drechselbank geht das zügig voran. Mit voranschreitender Prozedur zeigen sich an der Oberfläche die kleinen Unebenheiten und Werkzeugspuren aus den vorigen Arbeitsschritten. Durch das Polieren werden sie sogar noch betont – da zeigt sich, ob zuvor sorgfältig gearbeitet wurde.

Die Säule glänzt schon

Polster und Zusammenbau

Die eigentliche Sitzfläche wird mit feinem schwarzen Leder bezogen. Das Leder wird auf dem Ring mit sechzig Polsternägeln aufgenagelt. Das Polster selbst ist ein kleines rundes Schaumstoffkissen, das lose in der Sitzfläche liegt. Aufgrund der Bauweise spannt sich das Leder erst in dem Augenblick, in die Sitzfläche und das tragende Kreuz miteinander verschraubt werden. Das Kissen ist schnell in Form geschnitten und mit etwas Stoff bespannt. Doch für den Lederbezug stellt sich die gleiche Herausforderung, vor der Kartographen stehen, wenn sie den kugelförmigen Globus in der ebenen Karte abbilden wollen. Entweder fehlen Teile oder es überlappen sich Teile – gewölbt und eben sind hier nur mit Tricks vereinbar. Meine Befürchtung war ein unschöner Faltenwurf des Leders im Bereich der Polsternägel. Zudem sollten die Polsternägel alle den gleichen Abstand aufweisen, da ungleiche Abstände sofort auffallen würden. Daher habe ich mich dazu entschieden die Löcher im Leder vorzustechen und auch das Holz entsprechend vorzubohren – eine präzise Markierung vorausgesetzt. Das Vorbohren erweist sich zudem als notwendig, da das Buchenholz so hart ist, dass es mir in Probestücken nicht gelingen wollte, einen Nagel gerade zu versenken.

Vorbereitung des Polsters

Der Lederbezug wird vorbereitend an der Außenkante umgeschlagen und verklebt. Jetz wird das Leder auf dem Ring positioniert und mit Nadeln abgesteckt, so dass sich überall die gleichen Abstände einstellen. Das sieht in etwa so aus, wie eine Torte zum 60igsten Geburtstag. Das einschlagen der Polsternägel mit dem eigens angefertigtem Nietdöpper dauert nur ein paar Minuten. Allerdings hat mich der Weg bis dorthin einige Zeit und Überlegung gekostet. Am Ende hat sich der Aufwand in die Methode gelohnt.

Der Lederbezug wird festgenagelt

Die letzten Arbeitsschritte im Zusammenbau verlaufen reibungslos und schnell, etwas zu schnell für so eine lange Projektzeit. Wahrscheinlich habe ich das auch etwas hinaus gezögert, wie bei einem guten Buch, dessen Ende auf die nächste Nacht vertagt wird. In die Sitzfläche wird das Polsterkissen eingelegt und das Kreuz von unten verschraubt, das Leder spannt sich wie geplant und sieht einmalig aus. Die Spindel wird unter der Sitzfläche verschraubt, die Gewindebuchse in die Säule eingesetzt. Zum Tagesschluss werden die drei Beine mit der Säule verleimt, das trocknet über Nacht. Am nächsten Morgen kann der optische Abschluss unter der Säule – eine Platte plus eine Kugel – verleimt werden. Der letzte Schritt: die Spindel in die Buchse eindrehen… Höhe einstellen… und Probe sitzen. Großartig!

Fertig…

Mit dem Ergebnis bin ich hochzufrieden, alle Überlegungen und Pläne sind aufgegangen. Die Formgebung, Farbe, Oberfläche und die Verbindungen und der optische Gesamteindruck – es kann nicht besser sein.

Ein Klavierhocker im Gründerzeitstil

Der Klavierhocker hat mich im ganzen Jahr 2023 begleitet, zwischendurch gab es immer wieder Unterbrechungen und viele andere Projekte zu bearbeiten. Als Drechselprojekt gestartet, habe ich tatsächlich die wenigste Zeit an der Drechselbank verbracht… dafür aber sehr viele Arbeitsschritte gelernt. Mit der Zeit ist mir aufgegangen, dass das Holzhandwerk und das Klavierspiel einige Parallelen aufweisen. Beide sind eine Mischung aus Handwerk und Kunst, unglaublich vielfältig an Techniken und Schwierigkeiten. Beides bereitet meistens Freude – und man lernt es nur durch Probieren am Objekt, üben, wiederholen und anpassen der Techniken. Videos sind eine nette Bereicherung zum Lernen, aber es geht nichts über die eigenen Fingerfertigkeiten, Erfahrungen und das Spüren der Werkezuge, der Tasten und das Arbeiten mit allen Sinnen – klingt vielleicht esoterisch, ist aber wahr.

Wollte man nur einen hübschen Hocker sein Eigen nennen, empfiehlt es sich im Netz zu stöbern. Dort werden alte Klavierhocker für ein paar EURO angeboten, das wäre die einfachere Variante gewesen. Für mich war dieser Hocker von Beginn an eine große Verlockung und auch Herausforderung, unter anderem weil die Erstellung mehrere Gewerke wie Tischlerei, Drechselei, Polsterei und Metallbearbeitung (hier sei Rainers Bruder Guido gedankt!) miteinander verbindet. Nach dem aufwendigen Hockerbau setze ich mich an das vernachlässigte Klavier und übe ein wenig…

Vielen Dank für die Unterstützung!

4 Kommentare zu „Klavierhocker

  1. A great project executed with amazing patience and precision to yield a beautiful work of art. Congratulations! You have a beautiful piano stool and wonderful new skills.

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